Funktioniert Psychotherapie auch digital?

Berlin – Von Stressabbau bis zur Hilfe bei ernsthaften Erkrankungen wie Angststörungen: Der Markt an Apps und Online-Angeboten rund um die psychische Gesundheit wächst. Nutzer fragen sich da: Welche Anwendungen sind gut und verlässlich?

Zunächst kommt es darauf an, von welchem Angebot die Rede ist: Es gibt Anwendungen zur Förderung der seelischen Gesundheit – die also Menschen dabei helfen sollen, psychisch im Gleichgewicht zu bleiben. Dann gibt es Programme, die Informationen zu bestimmten Erkrankungen vermitteln sowie Anwendungen zur Selbsthilfe. Schließlich gibt es internetbasierte Interventionen, die an der kognitiven Verhaltenstherapie ausgerichtet sind.

Mittlerweile seien für eine Vielzahl psychischer Störungen Programme entwickelt worden, die meisten für die Behandlung von Depressionen und Angststörungen, sagt Iris Hauth, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN).

Therapeutische Anwendungen müssen geprüft sein

Solche digitalen Interventionen müssten bestimmte Qualitätskriterien erfüllen, ihre Wirksamkeit müsse nachgewiesen sein, betont die Expertin

Ihre Fachgesellschaft hat sich in den vergangenen Jahren an der Entwicklung von Kriterien für derartige Angebote beteiligt. Der Markt für solche Angebote wachse, beobachtet Hauth – und er müsse strukturiert werden. Denn er sei für Laien und Fachleute gleichermaßen unübersichtlich.

Bundesinstitut arbeitet an Verzeichnis für Apps

Einen entsprechenden Versuch unternimmt das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, kurz BfArM. Die Behörde arbeitet an einem Verzeichnis für digitale Gesundheitsanwendungen, kurz DiGA.

Bevor Apps und Online-Programme in diesem Verzeichnis erscheinen, werden sie unter anderem auf Datenschutz, Funktionstauglichkeit und ihren tatsächlichen medizinischen Nutzen geprüft – seit Mai können Hersteller ihre Produkte einreichen. Ab Ende August könnten erste Anwendungen aufgelistet sein, teilt das Bundesinstitut mit.

Sind Gesundheitsapps in dem BfArM-Verzeichnis gelistet, können Ärzte sie verschreiben und die gesetzliche Krankenversicherung übernimmt die Kosten. So sieht es das Digitale-Versorgung-Gesetz vor. Das sei ein wichtiger erster Schritt in Richtung Transparenz und Qualität, sagt Iris Hauth.

Allerdings sagt die Ärztliche Direktorin und Chefärztin des Alexianer St. Joseph-Krankenhauses Berlin-Weißensee auch: Entscheidend seien die Kriterien, die über Wirksamkeit und Patientensicherheit einer App entscheiden. Und diese seien noch nicht klar festgelegt.

Nicht alles kommt von Fachleuten

Im Idealfall schützt das Register Betroffene vor Programmen, die ihren Zustand eher verschlechtern statt verbessern. «Es gibt einige Anwendungen, die eindeutig nicht von Fachleuten gemacht wurden», erklärt Prof. Ulrich Hegerl von der Deutschen Depressionshilfe

Prinzipiell raten Fachleute eher zu professionell begleitenden Angeboten. Denn Studien zeigten, dass die im Vergleich am wirksamsten sein und auch die geringste Abbruchrate haben.

Zuerst kommt die Diagnose

Wer psychische Probleme hat, sollte also immer einen Psychiater oder Psychotherapeuten konsultieren. Denn eine Diagnostik ersetzten die Anwendungen nicht, sagt Iris Hauth. «Diese sollte im persönlichen Gespräch oder zumindest per Videochat erfolgen.» Erst wenn die Diagnose feststehe, könne man Patienten ein passendes Online-Angebot zur Unterstützung vorschlagen.

Aus diesem Grund sieht Ulrich Hegerl unbegleitete Angebote bei schweren psychischen Erkrankungen kritisch. «Wenn jemand, der eine schwere Depression hat, denkt, er könne sich dadurch selber helfen – das kann schlimmstenfalls lebensgefährlich sein, wenn sich etwa suizidale Krisen entwickeln und die Anwendung das nicht erkennt.»

Für wen die Angebote taugen – und für wen nicht

Natürlich setzen digitale Angebote eine gewisse Affinität zum Internet voraus – insofern sind sie nicht für jeden etwas. Zumal etwa Menschen, die sozial isoliert leben, besonders auf einen persönlichen Kontakt zum Therapeuten angewiesen sind.

Es gibt aber auch anders gelagerte Fälle. Wer sich schämt, zu einem Therapeuten zu gehen, oder Angst davor hat, für den könnten E-Mental-Health-Anwendungen oder Video-Chats die Hemmschwelle entscheidend senken, erläutert Iris Hauth. Auch wer beruflich viel unterwegs ist oder an seinem Wohnort schlecht mit Fachpraxen versorgt ist, könnte davon profitieren.

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Psychische Selbsthilfe in Corona-Zeiten

Kontaktbeschränkungen, berufliche Sorgen, Urlaub gestrichen: Die Auswirkungen der Corona-Krise können Menschen psychisch belasten. Möglicherweise möchte man auch eine Therapie beginnen – ohne dabei mit Anderen persönlichen Kontakt zu haben.

Die Fachgesellschaft DGPPN hat eine Übersicht mit möglicherweise hilfreichen Angeboten erstellt. Darunter sind Selbsthilfeprogramme, Informationsportale sowie kostenlose Hotlines für Beratungen am Telefon. Bessern sich die Probleme nicht, oder hat man das Gefühl, tatsächlich psychisch erkrankt zu sein, sollte man sich aber stets fachlichen Rat einholen und eine Diagnose erstellen lassen.

Fotocredits: Christin Klose,Katrin Lorenz,Claudia Burger
(dpa/tmn)

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