Im Bann des Schrittzählers

Washington – Ob beherzt drauf los schreitende Menschen im Park oder Fußballmütter, die am Spielfeldrand ihre Sprösslinge anfeuern und dabei auf der Stelle marschieren: Digitales Schrittezählen ist angesagt in den USA und das Fitness-Armband aus dem Alltag vieler kaum noch wegzudenken.

Eine Aussage wie «Gestern hab ich 12 000 geschafft» erntet ohne weitere Nachfrage anerkennendes Nicken. Wer es diskreter mag, der greift zur Smartwatch, auf deren Ziffernblatt sich dort, wo früher die Datumsanzeige war, ein
Schrittzähler versteckt. Und auch in Deutschland vertrauen viele Menschen auf die digitalen Fitness-Helferlein am Handgelenk.

Doch in die allgemeine Begeisterung über die neuen Gadgets, von denen 2015 allein in den USA mehr als 13 Millionen verkauft wurden, mischt sich erster Frust. Denn nicht immer scheinen Fitnessgewinn und Gewichtsverlust einzutreten wie erhofft. Eine Nutzerin berichtet: «Ich habe festgestellt, dass mein Armband auch Schritte zählt, wenn ich mir die Zähne putze.»

Wie verlässlich und hilfreich sind die Daten, die erhoben werden? Spornen sie nicht zumindest zu mehr Bewegung an? Immerhin zeigte eine Studie zu Jahresbeginn, dass die Nutzer von Fitness-Armbändern nach sechs Wochen im Durchschnitt 970 Schritte mehr pro Tag gehen als zuvor ohne Armband. Doch offenbar gilt der Motivationsschub nicht für jede Zielgruppe.

Einer jetzt im Fachjournal
«Jama» veröffentlichten Studie zufolge nimmt man mit den Armbändern nicht zwingend ab. Für die Untersuchung machten fast 500 junge Übergewichtige eine Langzeitdiät und bekamen dazu Sportempfehlungen. Nach 6 Monaten erhielt die Hälfte von ihnen noch Fitnessarmbänder, die für einen zusätzlichen Bewegungsanreiz sorgen sollten.

Im Ergebnis speckte die Armband-Gruppe jedoch 3,5 Kilogramm weniger ab als die Vergleichsgruppe. «Unter jungen Erwachsenen mit einem Body-Mass-Index zwischen 25 und 40 bewirkte das Hinzufügen eines tragbaren technischen Hilfsmittels im Vergleich zu einer Standard-Intervention über 24 Monate einen geringeren Gewichtsverlust», resümieren die Forscher der Uni Pittsburgh.

Hauptautor John Jakicic hat dafür zwei mögliche Erklärungen: «Es könnte sein, dass die Leute denken: Ich war jetzt so aktiv, also kann ich auch einen Cupcake essen.» Andererseits sei ein solches Armband auch nicht für jeden motivierend – wer an Trainingszielen häufig scheitere, werde eher frustriert.

David Ellis, Psychologe an der Lancaster Universität, sagte der BBC: «Fitness Tracker werden häufiger von Leuten gekauft, die bereits einen gesunden Lebensstil führen und ihre Fortschritte messen wollen.» Deshalb sei schwer zu sagen, ob sie wirklich für jeden hilfreich seien.

In der Tat: Etwa die Hälfte der geschätzten 33 Millionen Amerikaner, die einen Fitness-Tracker besitzen, nutzen das Armband nicht mehr. Ein Drittel davon legt es schon innerhalb der ersten sechs Monate zur Seite.

Andere Untersuchungen kritisieren Ungenauigkeiten der Geräte beim Ermitteln der verbrauchten Kalorienzahl, des
Blutdrucks oder beim Bestimmen der Pulsfrequenz. Wer ambitioniert trainiere, riskiere möglicherweise Herzprobleme, wenn sein Puls ständig deutlich über dem angezeigten Wert liege, monierten Ärzte. Gegen eine dieser Studien zog der größte US-Anbieter, Fitbits, in diesem Frühjahr dann auch vor Gericht.

Der Mediziner Timothy Plante von der Johns Hopkins University rät, sich nicht auf den angezeigten Kalorienverbrauch zu verlassen. «Den Energieverbrauch zu messen ist eine große Herausforderung. Jeder der diese Geräte benutzt, sollte die Ergebnisse mit Vorsicht genießen.»

Eine ganz andere Schwachstelle deckten Forscher der TU Darmstadt und der Uni Toronto auf: Viele Programme haben große Lücken im Datenschutz. Nutzerdaten können relativ einfach gehackt und manipuliert werden.

Das dürfte in den USA, wo die Tracker-Angaben bereits vor Gericht als Beweismittel zum Einsatz kommen dürfen und auch Versicherungen erste Prämien danach berechnen, noch stärkere Auswirkungen haben als in Deutschland. Hier nutzt nach Angaben des Fachverbands Bitcom auch bereits fast jeder Dritte einen Fitness-Tracker oder eine App.

Fotocredits: Michel Winde
(dpa)

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