So sieht das Leben mit Schizophrenie aus

Dresden – Es begann daheim im Badezimmer. Anna Kunze, 16 Jahre alt, putzte das Bad wie jeden Mittwoch – da plötzlich: «Anna!» «Anna!»

Wer rief nach ihr? Ihre Eltern waren unterwegs, ganz sicher. Lief der Fernseher noch? Anna rannte durch das Haus, wurde panisch, fand niemanden. Die Stimme? Nur in ihrem Kopf. Laut und stark, als würde jemand direkt hinter ihr stehen. Es war der Anfang von Annas Schizophrenie.

Die 22-jährige Dresdnerin ist eine von rund 500 000 Menschen in Deutschland, die mit der Diagnose leben. «Bei der Schizophrenie nehmen Menschen Dinge wahr, die es in Wirklichkeit nicht gibt», erklärt Sandeep Rout, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie am Vivantes Klinikum Neukölln in Berlin. «Es ist eine Spaltung zwischen Erleben und Realität. Keine Persönlichkeitsspaltung, wie viele Menschen denken.»

Formen der Schizophrenie

Zu den Hauptsymptomen gehörten akustische Halluzinationen, Wahnideen, Gedanken, die nicht der Realität entsprechen, und Störungen der Ich-Wahrnehmung. Betroffene haben das Gefühl, andere könnten ihre Gedanken lesen oder Besitz von ihrer Persönlichkeit nehmen.

Die Tücke der Erkrankung: Zwischen Ausbruch und Diagnose liegen im Schnitt fünf Jahre. Auch bei Anna Kunze blieb die Krankheit lange unentdeckt – sie schlich sich in ihr Leben, verdunkelte es geradezu. In der Schule fühlte sich das Mädchen gemobbt, dann starb ihre Großmutter. Anna Kunze stürzte in eine seelische Krise. Mit 14 Jahren wurde sie zum ersten Mal wegen Depressionen im Krankenhaus behandelt.

Akute Psychosen

Die Stimme in ihrem Kopf, eine Frauenstimme, übernahm immer häufiger die Macht. Sie beschimpfte Anna Kunze. «Du bist dumm, Anna!» «Anna, Du bist hässlich!» Und dann war plötzlich die ganze Welt gegen sie. Auch ihrer Familie traute Anna Kunze nicht mehr. «Ich war sicher, dass meine Schwester eine Strahlung auf mich ausgerichtet hat, damit ich verrückt werde.»

«Das sind akute Psychosen», sagt Professor Hans-Peter Volz, Ärztlicher Direktor am Krankenhaus für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatische Medizin Schloss Werneck in Bayern. «Um diese Phasen zu verhindern, ist Früherkennung wichtig. So sinkt das Risiko für einen chronischen Verlauf.»

Unspezifische Symptome

Schizophrenie früh zu erkennen, sei jedoch schwierig. «Im Vorstadium zeigen sich meist unspezifische Symptome wie Ruhelosigkeit, Schlafstörungen, grundlose Freudlosigkeit, Leistungseinbrüche oder Anspannungsgefühle. Betroffene fühlen sich häufig von anderen ausgeschlossen, beäugt und missverstanden», beschreibt Volz.

Wer solche Veränderungen an sich erkennt, sollte sich Hilfe suchen, rät Sandeep Rout. Psychiater und psychiatrische Kliniken seien die richtigen Ansprechpartner. Die erste Maßnahme: Stressfaktoren aus dem Leben zu streichen. «Betroffene sollten auf genügend Schlaf achten und Reizüberflutungen vermeiden», rät Rout. Alkohol und Drogen könnten ebenfalls einen akuten Schub auslösen. Eine besondere Rolle in der Vorbeugung spiele auch ein stabiles Umfeld – viel Geduld und Verständnis der Angehörigen.

Therapeutische Verfahren

«Schizophrenie ist heute mit Medikamenten gut behandelbar. Eine Kombination mit Psychotherapie und weiteren therapeutischen Verfahren wie Ergotherapie ist meist optimal», erklärt Volz.

Anna Kunze hat gelernt, mit ihrer Erkrankung zu leben, ist sogar Mitbegründerin des EX-In Sachsen – eines Vereins für Betroffene, die sich untereinander helfen. Volz sagt: «Das ist die richtige Einstellung. Die Menschen sollten sich auf keinen Fall verkriechen.» Es gibt keine Schizophrene, sagt er – «nur Menschen mit Schizophrenie». Die Krankheit ist zwar Teil ihres Lebens. Aber eben auch nur ein Teil.

Fotocredits: Franziska Gabbert,Fotostudio Neukölln,Franziska Gabbert,Franziska Gabbert,Hans-Peter Volz
(dpa/tmn)

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