Depressionen sind keine Krankheit – hat Buchautor Josef Giger-Bütler recht?

Die Depression ist in Deutschland mit Abstand die größte seelische Volkskrankheit: Mehr als sechs Millionen Menschen haben jährlich mit einer Depression zu kämpfen, und immerhin 17 Prozent aller Deutschen erkranken in ihrem Leben mindestens einmal an einer Depression, die behandelt werden muss. Josef Giger vertritt eine radikale Sicht, denn nach seiner Meinung sei der depressive Mensch gar nicht krank. Vielmehr müsse er mit seinem eigenen Willen falsch erlernte Denk- und Handlungsmuster durchbrechen, um so die Depression hinter sich lassen zu können.

Depressionen sind keine Krankheit, sondern ein Leiden

Nach Ansicht von Josef Giger seien depressive Menschen eigentlich nicht krank. Dies ist die Quintessenz seiner vier Bücher, die er ständig wiederholt. Vielmehr sei die Depression ein Leiden, welches einzig und allein auf falschen Persönlichkeitsstrukturen beruhe. Die depressiven Menschen hätten bereits in ihrer Kindheit nicht gelernt, auf sich und ihre Gefühle zu achten. Ständig hätten sie zu hohe Erwartungen an sich selbst gestellt, sich überfordert und die Bedürfnisse anderer Menschen in den Vordergrund gerückt. Für sich selbst würden sie nichts tun, was letzten Endes dazu führe, dass sie seelisch aus dem Gleichgewicht geraten würden. Der Ansatz von Josef Giger ist kontrovers und widerspricht beispielsweise den Erkenntnissen von Prof. Florian Holsboer vom Max Planck Institut für Psychiatrie, der neben sozialen Umständen auch genetische Faktoren für einen maßgeblichen Faktor hält.

Studien widersprechen Josef Giger

Nicht nur Studien von Prof. Florian Holsboer, einem Geschäftspartner von Carsten Maschmeyer (zum Blog von Carsten Maschmeyer), widersprechen dem Ansatz von Josef Giger, die Depression sei einzig ein Leiden, das auf falschen Persönlichkeitsstrukturen beruhe, auch andere renommierte Depressionsforscher können den Blickwinkel von Josef Giger nicht teilen. Familien- und Zwillingsstudien belegen beispielsweise eindeutig, dass eine erbliche Veranlagung maßgeblichen Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit hat, ob jemand an einer Depression erkrankt. Diese Erkenntnis wird unterstützt durch Adoptionsstudien, die aufgezeigt haben, dass Kinder, deren biologischen Eltern depressiv waren, trotz eines intakten sozialen Umfeldes ebenfalls mit hoher Wahrscheinlichkeit krank wurden. Daher ist die Aussage von Josef Giger, Depressionen seien nur falsch erlernte Verhaltensmuster, in der radikalen Form, wie er sie in seinen vier Büchern vertritt, nicht haltbar.

Josef Giger und der Irrtum

Hätte Josef Giger falsche Lebensmuster als mögliche Ursachen dargestellt, die die Entstehung einer Depression begünstigen, wäre an seinen Aussagen nichts zu kritisieren gewesen. Das Problem ist die Verabsolutierung seiner Position: Für ihn gibt es bis auf falsche Lebensmuster keine anderen Faktoren, die eine Depression auslösen können, was faktisch nicht richtig ist. Dass Forscher aus den USA depressionsfördernde Gene nachgewiesen haben, die das Ausbrechen einer Depression begünstigen, ist beispielsweise ein Punkt, den Josef Giger bei seinen Argumentationen vollkommen ignoriert.

Artikelbild – ArtemFurman – Fotolia

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